11.04.2024
Macht Brüssel den Kaffee knapp und teuer?
Die EU meint es mal wieder nur gut und will die weltweite Entwaldung mit einer neuen Verordnung stoppen. Doch der Nachweis fällt vor allem kleinen Kaffeebauern schwer, und so befürchtet die Branche einen Preisschock als Ergebnis, wenn für die Umstellung nicht mehr Zeit bleibt.
Für Millionen von Kaffeeliebhabern begann diese Woche mit Anlass zur Besorgnis. Der Marktführer Tchibo kündigte am Montag höhere Preise für die nächste Woche an und empfahl den Kunden, sich noch reichlich zum aktuellen Preis einzudecken. Doch die Kostenanpassung Mitte April könnte nur ein kleiner Vorgeschmack darauf sein, was zur Jahreswende droht. Der Countdown für die scharfe Einführung einer entwaldungsfreien Lieferkette in der EU läuft und es wächst die Befürchtung, dass dies einen erheblichen Anstieg der Kaffeepreise auslösen könnte. Der Deutsche Kaffeeverband warnt seit Wochen vor einem möglichen Kaffeemangel in Europa, der zu signifikant steigenden Preisen führen könnte. Die EU-Kommission hingegen hat keine Kenntnis davon, dass die EU-Entwaldungsverordnung die Lebensmittelpreise erheblich erhöhen könnte. Die Auswirkungen würden laut der Kommission "sehr begrenzt" sein. Jedoch bestätigen Recherchen von Nichtregierungsorganisationen die Probleme, denen die Kaffeekonzerne gegenüberstehen. Keine der elf grössten Kaffeeröstereien kann eine nachhaltige Lieferkette nachweisen.
Dies hat auch damit zu tun, dass üblicherweise lokale Zwischenhändler die Kaffeebohnen aus verschiedenen Anbaugebieten mischen. Bereits hier fehlt die Transparenz darüber, für den Anbau welcher Bohne aus welchem Gebiet seit dem 31. Dezember 2020 noch Wälder gerodet wurden, und somit die Erträge auf dem EU-Index stehen. Die Kaffeeanbieter müssen zudem nachweisen, dass die regional vorgeschriebenen Umwelt- und Sozialstandards von den Kaffeebauern sowie allen Weiterverwendern und -verkäufern eingehalten werden. Dies stellt insbesondere die Kleinbauern vor grosse Herausforderungen. Die Befürchtung besteht, dass sie aus den globalen Lieferketten herausfallen und die ohnehin am Rande der Armut lebenden Kleinproduzenten noch ärmer werden.
Einige Länder des globalen Südens lehnen diese Art von europäischem "regulatorischem Imperialismus" sogar ab. Indonesiens Wirtschaftsminister Airlangga Hartarto betont, dass es der EU nicht zustehe, seinem Land vorzuschreiben, ob es abholzen darf oder nicht. Indonesien ist der viertgrösste Kaffeeproduzent und der drittgrösste Besitzer von Regenwäldern weltweit. Brasilien und Kolumbien nehmen ebenfalls Spitzenpositionen in beiden Bereichen ein. Auch für Äthiopien wächst die Sorge, dass die Vielzahl von kleinen Kaffeebauern nicht in der Lage sein könnte, die EU-Zertifikate beizusteuern und deshalb als Lieferanten ausgeschlossen werden.
Es geht jedoch nicht nur um Kaffee. Auch weitere Produkte wie Soja, Palmöl, Holz, Kakao und Rindfleisch sind von den neuen Vorgaben betroffen. Jedes importierte Lebensmittel muss bis zu dem konkreten Grundstück zurückverfolgt werden können, auf dem es entstanden ist. Wenn Anbieter nicht den neuen Vorschriften entsprechen, drohen Strafen von bis zu vier Prozent ihres EU-weiten Gesamtumsatzes ab Ende Dezember. Daher könnten sie im Zweifel auf Waren ohne umfassende Sorgfaltserklärung verzichten.
Millionen Menschen in den Ländern des globalen Südens sind von der Zertifikatspflicht betroffen, da sie in den letzten Jahren, insbesondere aufgrund der starken Nachfrage nach Palmöl, aus der Armut entkommen sind. Aber auch Millionen von Verbrauchern in den Ländern des globalen Nordens dürften die Auswirkungen zu spüren bekommen. Derzeit ist nur einer von fünf Kaffeebohnen-Lieferanten in der Lage, die erforderlichen Nachweise vorzulegen.
Deshalb werden immer mehr Stimmen laut, die das Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung verschieben wollen. Die CDU-Europapolitiker Hildegard Bentele, Peter Liese, Norbert Lins und Christine Schneider schlagen vor, das Datum vom 1. Januar 2025 auf den 1. Januar 2027 zu verschieben. Gleichzeitig sollten die detaillierten technischen Anforderungen vereinfacht werden, um auch europäischen Waldbesitzern die Einhaltung zu erleichtern. Das Ziel, die weltweite Entwaldung zu stoppen, wird in dem Brief der Abgeordneten nicht bestritten. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass mehr Rücksicht auf Kleinbauern in Entwicklungsländern und kleine Waldbesitzer in der EU genommen werden sollte. Nach der Wahl sollte daher mehr Pragmatismus in Brüssel auf die Tagesordnung gesetzt werden.